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Musik ist stets ein Ohrenschmaus?

Musik ist stets ein Ohrenschmaus?

Von Peter Kneissl

 

Schier Legion sind die wunderbaren und hymnischen Berichte über musikalische Darbietungen seit Beginn der Menschheit. In den höchsten Tönen, welche mit den musikalischen Höchstleisungen – fürwahr eine Wohltat für das menschliche Ohr sind- versuchen die Schilderungen derselben mitzuhalten.

Ist doch das Ohr als Mittler für Informationen aller Art unerlässlich dazu, selbst verstehen zu können und uns in nächster Konsequenz eine eigene Meinung hierzu zu bilden. Ganz ähnlich erging es auch dem germanischen Göttervater Wotan. Seine beiden Informanten, die stets um ihn herum flogen waren die beiden Raben Hugin (Gedanken) und Mumin (Erinnerung). So waren seine Ohren stets mit Informationen gut versorgt und dadurch blieb auch keinerlei Platz für andere Neuigkeiten. Somit hatte der oberste Gott der Germanen auch niemals Gelegenheit, sich auf andere Zuträger einzulassen oder gar auf falsche Einflüsterer hereinzufallen. Freilich, die Welt der germanischen Göttersagen wollte es anders.

 

Ebenfalls der Mystik der Germanen entstammt der Stoff der Wilden Jagd. Diese wird von Wotan in höchst eigener Person angeführt und bildet den Zug der zu früh aus der Welt Geschiedenen. Diese wird durch einen lieblichen Gesang angekündigt, wenn sie sich entschließt den Menschen Gutes zu tun und ihm wohltuend zu begegnen. Ist die Absicht des Totenzuges eine Schlechte, so macht sie sich durch einen weithin hörbaren Sturmwind bemerkbar und wüste, schrille Stimmen zerfetzen die Nacht. Fürwahr keine schöne Tonfolge!

 

Da Sleypnir, das grauenhafte Abbild des hehren Rosses Wotans ist, so sieht es auch entsprechend schrecklich aus: Es hat acht Läufe, blutunterlaufene und aus den Höhlen hervor quellende Augen, teils ist ihm das Fell abgerissen und man kann auf das nackte Fleisch hinab blicken und seine beiden Ohren sind verdreht und teilweise abgerissen. 

 

So ähnlich fand man auch das beste Pferd wieder, welches die Wilde Jagd von einem Geizkragen gefordert hatte. Zuvor war es ein prächtiger Rappe gewesen. Der Mann hatte in seinem grenzenlosen Hochmut einer Witwe mit acht Kindern nach dem Tode ihres Mannes alles genommen und sie mußte mit den Ihren im Armenhause Quartier nehmen. Alle Leute verstanden das ungerührte Verhalten der Witwe gegenüber ihrem Peiniger nicht, doch diese sagte nur ganz ruhig: „Dies wird ein Höherer für mich erledigen, seid ganz getrost!“ In der kommenden Nacht erhob sich unter fürchterlichem Getöse eine Windsbraut über dem Gut des garsteigen Grundherrn, es heulte und unheimliche Tierstimmen erfüllten die Luft bei dem Hause. Nachdem Wotan von diesem grausamen Manne sein bestes Pferd aus dem Stall gefordert hatte, galoppierte das edle Tier über den nächsten Abhang hinab und wurde am folgenden Morgen wie nach einem Hagelschlag grausam entstellt aufgefunden: Die Zähne lagen ausgeschlagen daneben, die Läufe waren grotesk verdreht, der Schweif wüst zerzaust und abgerissen, ausgerissene Fellstücke lagen rundum weit verstreut und auch die beiden Ohren waren abgerissen und lagen zu beiden Seiten des Schädels. Fürwahr ein grauenhafter Anblick! Hierauf gelobte der Unhold endlich Besserung, denn auch ihm war durch einen fürchterlich daher brausenden Sturmwind die Wilde Jagd angekündigt worden – dies hatte sich für den Rest seines Lebens in sein Gehör eingebrannt. So geschehen der Sage nach in Hafning, heute ein Stadtteil von Trofaiach nahe Leoben.

 

Auch in der drakonischen Jurisdiktion des Mittelalters lag das Abschneiden der Ohren oder deren zumindest teilweise erfolgte Verstümmelung gleichauf mit der Blendung, dem Ausstechen der Augen. Somit wurden die beiden Hauptsinne des Menschen, das Augenlicht und das Gehör, zerstört. Erst an dritter Stelle kam das Aufschlitzen bzw. das Abschneiden der Nase, des Geruchssinnes.

 

Der Maler Hieronymus Bosch (1450 bis 1516) zeigt uns auf der rechten Tafel seines Triptychons „Garten der Lüste“ aus der Zeit um 1500 deutlich und drastisch, wie es Musikanten ergeht, welche mit ihren scheinbar künstlerischen Wohltaten das menschliche Gehör über Gebühr strapazieren und beleidigen: Harfe und Laute, sonst zur Musikkunst bestimmt, werden hier zu Folterinstrumenten. Einer ist an seine eigene Laute gefesselt, ein anderer ist händeringend in die Saiten der eigenen Harfe eingespannt. Ein Trommler hockt auf ewig eingeschlossen in seinem eigenen Instrument, das ein dämonisches Mischwesen mit sichtlichem Vergnügen malträtiert. Ein unglücklicher Glöckner wird selbst zum Glockenschwengel im eigenen Instrument, wobei nur noch seine Schenkel unten heraus ragen. Der Ärmste ist dazu verurteilt sein eigenes Instrument zum Schwingen zu bringen – Freude an der eigenen musikalischen Darbietung wird er wohl keine haben.

 

Über diese Misstöne im Inneren der Kathedrale mokieren sich auch die gotischen Wasserspeier, auch oftmals „Gaurilacs“ genannt. Sie versuchen ihre überdimensional groß gestalteten Ohren zu verschließen, um selbige miserable Tonfolgen nicht mehr hören zu müssen. Es gelingt ihnen jedoch nicht ganz, und so speien diese Wächtertiere das ihnen kalt über ihre Rücken laufende Regenwasser aus ihren Mäulern wieder auf die wenig begabten Musiker herab, sobald diese nach Beendigung ihrer Katzenmusik wieder ins Freue treten.

 

Einzig neben der gotischen Kathedrale von Chartres freut sich einer über diese wahrhaft köstliche Gehörverwirrung: Ein ans Kapitelhaus gemeißelter Esel stellt fröhlich seine langen Ohren auf und dreht dazu seine Drehleier.

 

Eine kleine Tierfabel berichtet über die Entstehung des Eselsohrs folgendes: Einst hatte Gottvater alle seine Tiere um sich versammelt und betrachtete zufrieden seine Geschöpfe. Er stellte ihnen die Frage, wer von ihnen am Besten lesen könnte. Dazu lag inmitten der Tiere ein großes aufgeschlagenes Buch, woran diese ihre Fertigkeiten zeigen sollten. Doch sowohl der Löwe, als König der Landtiere; wie auch der Adler, als König der Lüfte, sagten kleinlaut: „Herr, Du hast uns zwar mit vielen Vorzügen ausgestattet, aber die Gabe des Lesen hast du nur den Menschen vorbehalten. So leid es uns auch tut, wir müssen eingestehen, dass keiner von uns hier lesen kann!“ Lange Gesichter unter den Tieren waren ringsum zu bemerken.

 

Da trat unter lautem Geschrei der Esel vor, setzte sich vor das aufgeschlagene Buch hin, warf lässig seine Linke über den oberen Buchrand und schrie dreimal laut: „Iah!“ So teilte er seinen verdutzten Artgenossen mit wie gut er bereits lesen könnte – wer schon mehr als drei Buchstaben könne, möge nun als Nächster hier weiter lesen und seine Künste zeigen! Mit der linken Vorderpfote hatte er den Buchrand jedoch oben eingeknickt. Somit war das Eselsohr entstanden, welches heute noch bei Lehrern nicht unbedingt gerne gesehen ist.

 

Bekanntermaßen war der geniale Musiker Ludwig van Beethoven (1770 bis 1828) von seinem vierzigsten Lebensjahre an mit Taubheit geschlagen – für einen Komponisten und Tonkünstler ein verheerender Umstand. Ein vermindertes Hörvermögen hätte ihm gewiss manchen Kummer im Umgang mit der ebenso schwärmerischen wie auch beharrlichen und lästigen Bettina von Arnim (1785 bis 1859) erspart, welche ihm einfach in Wien in die Probestunde geplatzt war und ihn einfach wie es ihre Art war, geduzt hatte. Doch dabei war er nicht der Einzige: Goethe, Schleiermacher und Fürst Pückler – Muskau waren ebenso leidgeprüft ihm Umgang mit der jüngsten und am wenigsten angenehmen Enkelin der Schriftstellerin Sophie La Roche. Und daran war bestimmt nicht nur Bettines schrille und hohe Stimme alleinig schuld!

 

Somit zeigt sich mal wieder: Kunst liegt stets im Auge des jeweiligen Betrachters – oder wie in diesem Falle seiner Ohren.

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